"Ich bin nur ein ganz gewöhnlicher Mann", sagt Li Hongzhi bescheiden. In seinen Lehren klingt das jedoch ganz anders: "Es gibt keinen außer mir", schreibt er, "der heute den echten Weg der Kultivierung auf höchster Ebene verbreiten kann." Nein, wirklich bescheiden ist Li Hongzhi nicht. Sonst hätte er es wohl nicht für nötig gehalten, sein Geburtsdatum zu ändern. Nun fällt sein selbst gewählter Geburtstag auf den 13. Mai - zufällig der gleiche Tag, an dem Buddha persönlich das Licht der Welt erblickte.
Der Gründer und einzige Guru der Falun-Gong-Sekte ist etwa 1,78 Meter groß, seine Augenbrauen sind schräg, mit einfacher oberer Lidfalte, und er ist ein bisschen fett. So beschreibt ihn zumindest Chinas Amt für öffentliche Sicherheit in einem landesweiten Steckbrief. Li Hongzhi ist Pekings Staatsfeind Nummer eins.
Seine Lehre hat allein in China so viele Anhänger, dass die Kommunistische Partei um ihre Kontrolle fürchtet. Im Juni 1999 wurde Falun Gong als "böser Kult" eingestuft und verboten. Seitdem werden die "Praktizierenden", wie sich die Mitlieder der Sekte selbst nennen, mit aller Härte verfolgt. Li Hongzhi setzte sich 1998 in die USA ab und regiert seine weltweite Anhängerschar von New York aus.
Offiziell wurde der Guru am 7. Juli 1952 unter dem Namen Li Lai in der nordostchinesischen Provinz Jilin geboren. Angeblich sah er im Alter von acht Jahren in seinen Augenwinkeln die späteren Grundprinzipien seiner Lehre, "Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht", was ihm gleichzeitig übernatürliche Kräfte bescherte. Trotzdem arbeitete er nach seinem Militärdienst zunächst als kleiner Beamter im Getreideamt der Provinzhauptstadt. 1992 gab er seinen Beamtenjob auf und gründete Falun Gong. Diese Lehre vom "Rad des Gesetzes" besteht neben den traditionellen chinesischen Atemübungen des Qigong aus buddhistischen und taoistischen Elementen, gewürzt mit einer Portion gnostischer und rassistischer Theorien. Das Grundprinzip ist das Gesetzesrad, das sich bei den Übungen im Bauch des Praktizierenden drehen soll und "kosmische Energie" in den Körper schaufelt. Wenn man dies richtig mache, versichert Li Hongzhi, würde man nie wieder krank, dazu winken enorme Gewinne für Geist und Moral.
Zunächst ließ Peking Li Hongzhi gewähren. Seine Schriften waren sogar in den staatlichen Buchläden zu finden, der Kult galt als harmlos. Bis zu jenem Tag im April 1999, als sich wie aus heiterem Himmel 10 000 schweigende Falun-Gong-Anhänger vor Chinas Regierungssitz zusammenfanden - die größte inoffizielle Kundgebung seit Tiananmen. Für Chinas Machthaber ein Affront und eine ernsthafte Bedrohung ihrer Kontrolle. So warf die Kommunistische Partei die Propagandamaschine an, erklärte Li Hongzhi zum Scharlatan, seine Bewegung als abergläubisch, gefährlich und umstürzlerisch.
Li Hongzhi hat in China eine Marktlücke entdeckt. Die Macht der Kommunisten bröckelt, das ideologische Vakuum lässt umso mehr Raum für Spirituelles. Inzwischen hat der Guru bereits über zehn Millionen Anhänger allein in der Volksrepublik - quer durch alle sozialen Schichten, bis hinein in die Kommunistische Partei selbst. Wenn die Zahlen auf seinen Webseiten stimmen, wäre die Sekte bereits die siebtgrößte Religion der Welt. Auch in Deutschland praktizieren ein- bis zweitausend Personen Falun Gong.
Chinas Geschichte liefert Beispiele, die die Machthaber mit Sorge erfüllen: Schon zwei Mal (Taiping-Rebellion und Boxeraufstand) haben spirituelle Bewegungen zu Aufstand und Chaos geführt. Damals wie heute trieb die Unzufriedenheit über steigende Arbeitslosigkeit und Korruption die Menschen in die Arme charismatischer Anführer. Doch Li Hongzhi verkündet unbeirrt, seine Lehre sei gänzlich unpolitisch.
Die Schriften lassen wenig Spielraum für Interpretationen: Li ist der alleinige, unbestrittene Führer des Kultes; Rassen sollen sich nicht mischen, denn das führe zum Niedergang; die Praktizierenden sollen der Lehre blind vertrauen, deshalb dürfen sie nicht zum Arzt - was allerdings nicht für den Meister persönlich zu gelten scheint, wie Arztquittungen beweisen.
Falun Gong hat vor allem ein Merkmal: Intransparenz. Angeblich lebt Li von den Erlösen seiner Bücher. Der 49-Jährige lenkt seine Anhänger durch das Internet, durch Videos, Bücher und Huldigungsposter. Li selbst tritt kaum in Erscheinung. Er ist wohl, so munkelt man in der Gemeinde, vollauf damit beschäftigt, die höchste Erleuchtung zu erlangen.